Mittwoch, 31. Juli 2019

Ausweitung des „Passenger Name Record“ geplant: Die wird EU zu einem beispiellosen Überwachungsstaat

von Thomas Röper
Die EU plant nach den Flugreisen nun auch, bei allen Reisen mit Bussen, Bahnen und Schiffen die persönlichen Daten der Reisenden zu erfassen und auszuwerten. Die Überwachung der Menschen nimmt im „freien“ Europa inzwischen Formen an, von denen selbst die Stasi nicht einmal zu träumen gewagt hätte.
Die Meldung habe ich außer in der Süddeutschen Zeitung nirgendwo gefunden. Still und heimlich wird in der EU diskutiert, in Zukunft alle Reisen der Menschen in Europa zu erfassen und auszuwerten. Der Vorwand ist wie üblich die Terrorbekämpfung.
Schon jetzt werden alle Daten von Flugreisenden automatisch an das BKA weitergegeben, wie die Süddeutsche berichtet:
„Den sogenannten Passenger Name Record (PNR) erheben derzeit nur Fluglinien über ihre Passagiere. Erfasst werden unter anderem Name, Adresse, Buchungscode, Reiseverlauf sowie Informationen über die Bezahlung, den Vielflieger-Status, den Sitzplatz und das Gepäck. Die Fluglinien leiten die Informationen an Sicherheitsbehörden weiter, in Deutschland an das Bundeskriminalamt (BKA).“
Über die aktuelle Diskussion in der entsprechenden Arbeitsgruppe in Brüssel schreibt die Süddeutsche:
„Mehrere Staaten wollen das Verfahren im Namen des Kampfes gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität ausdehnen. Teilnehmer verwiesen auf das Phänomen des „broken travel“ – des „unterbrochenen Reisens“. Ihnen zufolge wechselten Terroristen oft die Verkehrsmittel, reisten etwa erst per Flugzeug, dann per Bus oder Bahn. Das spreche für die Ausweitung von PNR.“
Die Freiheitsrechte in Deutschland und der EU werden immer weiter ausgehöhlt. Früher, als es noch die DDR gab, lernten wir ständig, dass das Leben im Westen frei wäre, ganz im Gegensatz zu den osteuropäischen „Überwachungsstaaten“. Das Telefon- und Briefgeheimnis waren heilig. Das ist längst Geschichte, heute lesen die Geheimdienste unsere Emails, sammeln Daten über unsere Telefonate und überwachen detailliert jeden Flugpassagier. Und in Zukunft soll auch jede Bahnfahrt erfasst werden und selbst eine Reise mit Flixbus wird dann akribisch erfasst und ausgewertet.
Die Menschen werden gläsern und es scheint niemanden zu stören. Wer dagegen etwas sagt, bekommt zu hören: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“. Das war auch das Argument in der DDR. Nur dass es in der DDR keine so flächendeckende Überwachung gab, wie wir sie heute im „freien Westen“ erleben.
Hinzu kommt, dass die Verfahren noch nicht einmal funktionieren, wie wir ebenfalls in der Süddeutschen erfahren:
„Zwischen der Inbetriebnahme am 29. August 2018 und 31. März 2019 haben die Fluglinien Daten von 1,2 Millionen Passagieren ans BKA weitergegeben. Die Software fand darin 94 098 „technische Treffer“. Jeder einzelne davon wurde von einem Beamten händisch überprüft. In 277 Fällen stellte sich der Verdacht als begründet heraus. In 93 821 Fällen handelte es sich dagegen um ein Fehlurteil der Software. Daraus ergibt sich: 99,7 Prozent aller vermeintlichen Treffer sind Irrtümer. (…) Laut Innenministerium sind etwa 40 Beamte im 24/7-Schichtdienst mit der Überprüfung der technischen Treffer beschäftigt. Insgesamt sieht die Bundesregierung für Aufbau und Betrieb der Fluggast-Datenbank mehr als 500 Planstellen in verschiedenen Behörden vor.“
Es sollen also 500 Beamte eingestellt werden, um uns mit einem System zu überwachen, das noch gar nicht richtig funktioniert.
Aber das Argument der Terrorbekämpfung ist ohnehin fragwürdig.
Es ist unbestritten, dass westliche Geheimdienste auch im eigenen Land Terroranschläge verüben. Nur kommt das selten und auch nur mit einiger Verspätung ans Licht. Ein Beispiel aus Deutschland, bei dem der deutsche Verfassungsschutz unbestritten einen Terroranschlag in Deutschland verübt hat, war das Celler Loch. Die Details finden Sie hier.
Ich habe immer mal wieder darüber geschrieben, dass Deutschland kein Rechtsstaat ist, denn die Politik kann der Staatsanwaltschaft verbieten, bei Verbrechen zu ermitteln, die Details zu dem Thema finden Sie hier. Auch das Celler Loch war so ein Fall. Anstatt der Staatsanwaltschaft hat ein politischer Untersuchungsausschuss die „Ermittlungen“ übernommen und im Ergebnis wurde niemand für diesen Terroranschlag bestraft. Der Verfassungsschutz darf in Deutschland straffrei Terroranschläge verüben.
Aktuell gibt es übrigens Meldungen aus Spanien, dass der dortige Geheimdienst eine islamistische Terrorgruppe nicht nur genau beobachtet hat, sondern auch wusste, was die Gruppe geplant hat. 16 Menschen starben bei Anschlägen der Gruppe unter den Augen des spanischen Geheimdienstes. Haben Sie davon in den deutschen Medien etwas gehört? Unwahrscheinlich, selbst in Spanien wird darüber kaum berichtet.
Nun wird die Überwachung der Menschen in der EU verschärft, dabei wäre es eher sinnvoll, die Geheimdienste besser zu überwachen, die offensichtlich schon lange ein Eigenleben führen. Schon zu Beginn des RAF-Terrors in den 1970er Jahren war der Verfassungsschutz erstaunlich eng mit den Terroristen verbandelt. Die ersten Anschläge der „Baader-Meinhoff-Bande“ wären ohne den Verfassungsschutz vielleicht nie geschehen, denn sie bekamen Sprengstoff und Waffen dafür von Peter Urbach, einem V-Mann des Verfassungsschutzes. Obwohl das seit 1971 bekannt war, wurde niemand bestraft und Urbach selbst erhielt eine neue Identität und starb angeblich 2011 in den USA.
Und damit hören die Verbindungen zwischen Verfassungsschutz und RAF nicht auf. Unbestritten ist, dass die Gründung der RAF regelrecht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stattfand, denn die „Bewegung 2. Juni“, aus der die RAF hervorging, war mit V-Leuten durchsetzt, wie der ehemalige Terrorabwehr-Chef Winfried Ridder in einem Interview mit dem Focus offen zugegeben hat:
„Es trifft zu, dass der Berliner Verfassungsschutz Anfang der 70er-Jahre mit großem Erfolg Quellen in den Strukturen der „Bewegung 2. Juni“ platzieren konnte.“
Und die RAF-Terroristin Verena Becker war selbst nach offiziellen Angaben eine Zeit lang Informantin für den Verfassungsschutz. Sie war ebenfalls in der „Bewegung 2. Juni“ dabei, aber der Verfassungsschutz behauptet, sie sei nur in den 1980er Jahren vorübergehend Informantin gewesen. Das kann man glauben, man kann es aber auch anzweifeln.
Je mehr Zeit seit einer Terrorwelle vergeht, desto offensichtlicher wird, dass bei einer Vielzahl – vielleicht der Mehrzahl – von Terrorgruppen die Geheimdienste ihre Hände im Spiel hatten, ohne die Terroristen bei ihrer „Arbeit“ zu behindern.
Besonders gut belegt ist das bei den italienischen Roten Brigaden, bei denen man – im Gegensatz zur RAF – inzwischen sehr genau weiß, dass sie von westlichen Geheimdiensten gelenkt wurden. Das weiß man übrigens nur einem Grund: In Italien gibt es keinen Paragrafen 146 GVG, sondern unabhängige „Ermittlungsrichter“, denen niemand Anweisungen geben darf. Einige dieser Ermittlungsrichter wurden ermordet, aber trotzdem kamen die Dinge schließlich ans Licht. Wer sich für mehr Hintergründe interessiert, dem empfehle ich diese Doku.
In Deutschland ist eine solche Aufklärung, dem Paragrafen 146 GVG sei Dank, nicht zu erwarten.
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Und anstatt diese Dinge aufzuklären und die Verantwortlichen zu bestrafen, werden die Freiheitsrechte in der EU unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung immer weiter eingeschränkt.
Da ist es doch beruhigend, dass die freien, kritischen und objektiven deutschen „Qualitätsmedien“ darüber nicht berichten, das könnte Sie und mich ja nur verunsichern.

Thomas Röper - www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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